Dem blau-grünen Schenkelkäfer auf der Spur

Insekten zählen mit Nabu

Zum dritten Mal hat der Naturschutzbund NABU dieses Jahr zum Insektensommer eingeladen, das heißt: alles zu zählen, was sechs Beine hat und auf dem Balkon, Wiesen oder im Wald unterwegs ist. Dazu gehören Wildbienen, Honigbienen, Schmetterlinge, Wanzen, Fliegen, egal wie groß oder klein – systemrelevante Wertschaffende für unser tägliches Leben, ohne die kein Essen auf dem Tisch stehen könnte. Während die erste Zählung im Juni nun vorbei ist, gibt es im August noch einmal eine Möglichkeit, sich zu beteiligen.

„Die Aktion wurde von Nabu ersonnen, um die Aufmerksamkeit auf die Insekten zu lenken. Wir wissen ja aus jahrzehntelangen Untersuchungen, dass wir große Verluste bei Fluginsekten haben.“ Das sagt Beatrice Jeschke, die seit 2017 bei Nabu arbeitet, während sie an der Schmetterlingswiese auf dem Leipziger Ostfriedhof ihre Beobachtungsutensilien für die Gruppe vorbereitet: Bestimmungsbücher, eine Zählhilfe mit Abbildungen, Gläschen, Käscher. Heute sind wir zu fünft, Tony und Karsten sind schon viele Jahre beim NABU aktiv und haben ihre Kameras mit Teleobjektiven dabei.  

Beatrice Jeschke von NABU
Foto: B.Pfeiffer

Die Wiese, die in Form eines Streifens angelegt ist, steht voller Margeriten. Wir verteilen uns mit entsprechendem Abstand um sie herum. Auf Anhieb sind einige Trauerrosenkäfer zu sehen sowie einige Marienkäfer. Zu den Marienkäfern gibt es dieses Jahr eine Zusatzaufgabe: Beobachterinnen und Beobachter sollen notieren, ob sie mehr asiatische oder mehr Siebenpunktmarienkäfer sehen. Ihre jeweiligen Merkmale sind auf der Zählhilfe erfasst, die der Nabu für die Aktion auch auf der Website bereitstellt wie auch weitere Informationen zum Vorgehen beim Zählen.

„Wir freuen uns über jede Wiese, die nicht gemäht wird“, sagt Beatrice Jeschke. Denn dies erleichtert den Insekten Nahrung zu finden. Und damit auch Fledermäusen und Vögeln, die auf Insekten als Nahrung angewiesen sind.

Regio-Saatgut empfohlen

Die Nabu-Wiese auf dem Ostfriedhof wurde 2019 extra für Insekten angelegt. Dazu wurde umgegraben, die Grasnarbe entfernt, mit Sand abgemagert und regionales Saatgut gesät. „Interessierten, die insektenfreundliche Pflanzen aussähen wollen, empfehlen wir ausschließlich Regio-Saatgut“, erläutert Sabrina Rötsch, Nabu-Sachverständige für Hautflüglerarten. „Das ist wichtig zu beachten, denn etwa ein Drittel der Wildbienenarten sind auf bestimmte Pflanzenarten spezialisiert. Die Bienen brauchen dann entsprechenden Nektar und Pollen – man kann sie nicht bedienen, wenn man irgendein Saatgut nimmt. Und ein Natternkopf in Hamburg hat zum Beispiel eine ganz andere Nektar- und Pollenzusammensetzung als einer in München.“

Da man das als Nicht-Eingeweihter alles nicht genau wissen kann, bietet der NABU kostenlos Beratung an: für Privatpersonen und Einrichtungen, Schulen und Kindergärten, also für alle, die sich insektenfreundlich aufstellen wollen. Dieses Angebot wird rege genutzt. Im Notfall siedelt das Nabu-Team auch Insekten und ihre Nester gegen eine Aufwandspauschale um. Leider würden nach wie vor Nester unnötigerweise zerstört, sagt Sabrina Rötsch.

Nahrungsquellen wichtiger als Insektenhotels

Für die Wildbiene, die laut Sabrina Rötsch derzeit in über 550 Arten vorkommen, ist die Rücksichtnahme durch den Menschen besonders wichtig. Denn sie ist gleich mit mehreren Herausforderungen konfrontiert: Zum einen lebt die Wildbiene – außer Hummeln – nicht in einem Staat, sondern allein; zum anderen steht sie mittlerweile in Nahrungskonkurrenz mit Honigbienen. „Dies ist mittlerweile durch Studien belegt“, so Rötsch. „Die ganzen Heckenstrukturen und Säume in landwirtschaftlichen Räumen sind abhandengekommen. Daher kommen Imker in die Städte und in die Randbereiche der Städte. Und das sind die letzten Rückzugsräume auch für die wilden Bestäuber. So kann es passieren, dass die Wildbiene bei den Pflanzen, die sie unbedingt benötigt, gar nicht zum Zuge kommt.“ Zudem haben die meisten Wildbienen weniger Flugzeit – das heißt, sie sind nur etwa vier bis sechs Wochen im Jahr unterwegs. Dafür fliegen einige Arten, wie die Mauerbienen oder die Pelzbienen auch bei niedrigeren Temperaturen. „Die gehörnte Mauerbiene beispielsweise ist sehr fleißige Bestäuber und die Fruchtansätze sind höher. Daher wird sie inzwischen auch kommerziell im Obstanbau eingesetzt.“ Vorteile haben einige langrüsselige Wildbienen an Blüten, wo die Honigbienen nicht hingelangen. „Wenn man etwas Gutes tun will, ist die Schaffung von geeigneten Nahrungsquellen erst einmal wichtiger als eine Insektenhotel aufzustellen,“ so Rötsch.

Datenbanken und Netzwerke

Hauhechel-Bläuling. Das Einfangen von Insekten ist den NABU-Expertinnen vorbehalten.
Foto: B.Pfeiffer

Indes nimmt ein zarter blauer Falter auf einer Blüte Platz. Vorsichtig fängt Beatrice Jeschke ihn mit dem Käscher und befördert ihn in ein Gläschen, um ihn genauer erkennen zu können und zu fotografieren. Das Einfangen von Insekten ist den NABU-Expertinnen vorbehalten, die genau wissen, wie sie vorgehen müssen, damit die Tiere nicht zu Schaden kommen. Ohne Genehmigung der Naturschutzbehörde dürfen keine Insekten gefangen werden – nicht einmal tote Insekten vom Boden aufgesammelt werden. „Ich glaube, es ist ein Hauhechel-Bläuling, aber das werde ich später noch einmal nachprüfen.“ Nachdem wir ihn fotografiert haben, wird er wieder freigelassen.

Für viele Insektenarten gibt es mittlerweile Datenbanken und Netzwerke, bei denen man Sichtungen melden kann. So gibt es zum Beispiel das Lepiforum oder schmetterlingswiese.de für Schmetterlinge. Dort kann man seine Blühwiese registrieren lassen und Falter melden. Das im deutschsprachigen Raum größte Netzwerk für Naturbeobachter ist www.naturgucker.de, dessen strategischer Partner Nabu seit einigen Jahren ist. Dort können Beobachter bei Bedarf Hilfe bei der Bestimmung bekommen.

Das Highlight des Tages: Beatrice Jeschke entdeckt begeistert erstmals ihren Lieblingskäfer – den blau-grünen Schenkelkäfer. Die Männchen haben ausgeprägte Oberschenkel. Der Käfer galt nach dem Jahr 1900 für Sachsen als nicht mehr nachweisbar. Seit drei Jahren wird er jedoch wieder vereinzelt auf hiesigen Fluren gesichtet, wie man dem Netzwerk www.kerbtier.de entnehmen kann. „Seit Jahren suche ich ihn – und nun sitzt er hier! Das gibt’s ja nicht – mein blau-grüner Freund.“

Mehr Infos zur Aktion Insektensommer: https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/aktionen-und-projekte/insektensommer/index.html

Birgit Pfeiffer (Juni 2020)