Anträge statt Aufträge: schwere Zeit für Kirchenmusiker

Normalerweise würde Annelie Matthes diese Woche auf der Bühne stehen: Zwei Probentage und mehrere Passionskonzerte standen in ihrem Kalender. Doch die Kirchen bleiben leer, Konzerte und Veranstaltungen sind abgesagt. Damit ist die freischaffende Oboistin nicht allein. Viele freiberufliche Musikerinnen und -musiker sind von der Corona-Krise und dem damit verbundenen Shutdown schwer betroffen, ihr geplantes Einkommen ist praktisch über Nacht weggefallen, die Ausgaben laufen jedoch weiter. Überdies könnte der Zeitpunkt nicht ungünstiger sein: Die vorösterliche Fastenzeit und das Osterfest sind traditionell die auftragsreichste Zeit des Jahres für die Kirchenmusik. Viele Freiberufler nehmen in diesen Wochen wesentlich mehr ein als sonst, einige bis zu einem Drittel ihres Jahreseinkommens. Dies ist wichtig, um ein Finanzpolster für den Sommer anzusparen und frühere, schwächere Monate ausgleichen. Rücklagen können kaum gebildet werden. „Für mich ist es nun ein Totalausfall“, sagt Matthes, die Mutter von zwei Kindern und Alleinverdienerin ist. „Seit drei Wochen sitze ich täglich vier bis fünf Stunden vorm Internet, und versuche zu recherchieren: Welche Hilfen sind greifbar, welche wären auf mich zugeschnitten, wo kann ich jetzt wirklich eine Unterstützung herbekommen.“ Beruflich etwas breiter aufgestellt zu sein, ist zwar gut, nützt Annelie Matthes in diesen Wochen aber nur wenig. Neben dem professionellen Orchesterspiel unterrichtet sie Oboe und arbeitet als Anspielerin bei einer Instrumentenbaufirma. Das heißt, sie prüft die gebauten Oboen auf ihre Tauglichkeit und nimmt letzte Feinjustierungen vor, bevor die Instrumente in den Verkauf gehen. Aber auch diese Honorartätigkeit fällt derzeit weg, da die Firma derzeit wegen der Corona-Situation geschlossen ist. „Im Grunde unterliege ich derzeit durch die Auflagen einem Berufsverbot. Eigentlich bräuchten wir eine Entschädigung.“

Um der Existenzbedrängnis entgegen zu wirken, hat der Bund in sehr kurzer Zeit ein historisches Hilfspaket auf den Weg gebracht. Davon sollen 50 Milliarden Euro Soforthilfe für kleine Unternehmen, Selbstständige und Freiberufler bringen. Das Problem: „Die Länder-Hilfspakete unterscheiden sich zum Teil erheblich, die Antragstellung ist bislang oft nicht so unbürokratisch wie erhofft, und manche Bundesländer setzen leider vor allem auf Kredite und Darlehen.“ Das sagt der Counter-Tenor und Barockmusiker David Erler. Schon am 11. März hatte er eine eigene Petition zur Unterstützung freiberuflicher Musiker gestartet, nachdem stündlich Konzert-Absagen bei ihm eintrafen und die Dramatik der Situation sich zusehends abzeichnete. Die Petition wurde schon eine Woche nach Beginn beim Petitionsausschuss des Bundestages und beim Bundesfinanzministerium eingereicht. Inzwischen haben sie über 280.000 Menschen unterzeichnet. Der Teufel bei den jetzigen Unterstützungsmaßnahmen stecke im Detail, schreibt er auf der Infoseite seiner Petition: „So sind zum Beispiel die Zuschüsse für Solo-Selbständige beziehungsweise Kleinstbetriebe nur für laufende Betriebskosten gedacht – für alles Private aber werden Tausende von uns genötigt, Hartz IV zu beantragen.“ Doch selbst wenn dafür nun der Zugang wesentlich erleichtert wird, würden unzählige hochprofessionalisierte Freiberufler und Selbständige dadurch faktisch in die Grundsicherung gedrängt. Erler ist für viele Betroffene der Kreativszene zum unverhofften Sprachrohr und Mutmacher geworden. „Die Breite der Akzeptanz und das öffentliche Interesse haben mich überwältigt. Viele Betroffen schreiben mir, wie wichtig sie die Initiative finden und dass ihnen die Petition Hoffnung macht.“

Der Deutsche Musikrat hat an die Katholische und die Evangelische Kirche appelliert, Musikern ihr Honorar auch im Falle abgesagter Veranstaltungen zu bezahlen. Die Kirchen haben positiv geantwortet. In der Praxis ist dies aber schwierig. „Ich merke bis jetzt noch nicht viel davon“, sagt Annelie Matthes. „Selbst wenn jede Kirchgemeinde, wo ich hätte spielen sollen, mir die Hälfte des Honorars zahlen würde, reichte dies nicht aus, da die Honorare ohnehin bereits so niedrig sind und die Kirchenmusikbudgets bekanntermaßen schmal.“

Dennoch freuen sich die Musiker über helfende und Mut machende Initiativen und sind dankbar dafür. So hat die Deutsche Orchesterstiftung einen Nothilfefonds eingerichtet, der stark nachgefragt ist. Am 2. April verzeichnete die Stiftung einen Spendenstand von 904.000 Euro. Doch trotz der großen Spendenbereitschaft kann sie den Bedarf bisher nicht decken, sodass die Antragstellung kurz nach Öffnung zunächst wieder geschlossen werden musste, was nicht überrascht.

Was wäre also das Beste? Beide Musiker unterstützen die Forderung eines zeitlich befristeten Grundeinkommens für alle freiberuflichen Kreativschaffenden, wie es der Deutsche Musikrat formuliert hat. „Ein solches Grundeinkommen wäre das beste hinsichtlich sozialer Gerechtigkeit, denn die Bedarfsgemeinschaft ist sehr heterogen“, sagt Annelie Matthes. David Erler wünscht sich ein solches Grundeinkommen für alle Bürgerinnen und Bürger. „Das wäre aus meiner Sicht die unkomplizierteste und schnellste Variante zu helfen.“

Was können betroffene Musiker und Freischaffende sonst noch tun? „Schreiben Sie an Ihren Bundestagsabgeordneten und schildern Sie Ihre Situation“, empfiehlt David Erler. Er selbst hat es bereits gemacht.

Birgit Pfeiffer